Biedermeier ca. 1815-1848
Die Biedermeier-Zeit beginnt um 1815 (Frühbiedermeier) zum Ende des Wiener Kongresses, erreicht ihre feinste Ausprägung zwischen 1820 und 1830 (Spätbiedermeier) und reicht bis zum Beginn der bürgerlichen Revolution um 1848. Der errungene Sieg des Bürgertums über die Vorrechte der Aristokratie, die Gewährung von Verfassungen und Pressefreiheit, die Einführung der Gewerbefreiheit und sich daraus entwickelnde Gewerbevereine, regelmäßige Industrie-Ausstellungen, Auslagen von Fachzeitschriften in Bibliotheken oder Lesezirkeln entsprachen dem breiten Bedürfnis nach Bildung und technischem Wissen während dieser Zeit. Es gab zwar in technischer Hinsicht auch vielerlei Neuerungen bei Werkzeugen und Maschinen wie z.B. den Fuchsschwanz, verbesserte Hobel, Maschinen zum Hobeln, Sägen, Bohren, Schlitzen oder Furnierschneiden. Bezeichnend für diese Zeit mag aber die Tatsache sein, dass diese keinen wirklichen Eingang in die Werkstätten fanden, sondern man dem Traditionellen weiterhin verbunden blieb.
Um 1816 lebten noch ca. 90% der Bevölkerung unter einfachsten Verhältnissen auf dem Lande. Maße und Münzen waren nicht genormt, die Städte ohne Beleuchtung. In Berlin wurden beispielsweise erst um 1826 die ersten Gaslaternen aufgestellt. Abwasser floss in offenen Rinnen neben den Bürgersteigen, das Wasser holte man mit Eimern von der Pumpe. Es gab kein gemeinsames Postwesen und auch keine Briefmarken. Die Isoliertheit der damaligen Orte sowie auch die genannten sozialen Umstände bildeten zusammen mit der damaligen politischen Repression die drei wesentlichen Faktoren für die biedermeierliche Lebensform des nach Befreiungskriegen erstarkten Bürgertums, die sich vor allem in Introvertiertheit äußert und noch heute allzu gerne verkitscht wird.
Um die Möbelkunst des Biedermeier in ihrer Gesamtheit zu erfassen, bedarf es eines Rückblicks auf vorangegangene Stilepochen, nämlich den Ende des 18. Jahrhunderts vorherrschenden Louis-XVI-Stil und auf das in den ersten 15 Jahren des 19. Jahrhunderts regierende Empire. Diese Zeitspanne, zusammen mit den sich daran anschließenden 30 Jahren des Biedermeier, bezeichnet man in ihrer künstlerischen Ausdrucksform allgemein als Klassizismus. So verschieden der elegante Louis-XVI-Stil, das monumentale Empire oder das bürgerlich liebenswerte Biedermeier auf den ersten Blick auch scheinen – alle drei Stile des Klassizismus mit all ihren Merkmalen gründen aus derselben kunstgeschichtlichen Wurzel – der Antike.
Die Ausbreitung des Biedermeier-Stils fand vorwiegend im deutschsprachigen Raum statt und steht für die bürgerliche Wohnkultur. Die Möbel waren dabei nicht mehr nur dekorativ, sondern auch zweckmäßig und funktional. Schnitzereien, Vergoldungen und Verzierungen traten in den Hintergrund, Säulen und Profilleisten sowie konische Vierkant- oder Rundbeine wurden beliebt, alles sollte einfach und glatt sein. Die Sitzmöbel mit ihren durchbrochenen Rückenlehnen unterstreichen das Streben nach „Leichtigkeit“ und boten die Möglichkeit, Dekorationselemente wie die Urnenvase, die Lyra und andere Motive der Antike zu verarbeiten. Es entstanden verschiedenste, auch mobile Möbel (Arbeitstischchen, Etagéren, Toilettenschränkchen, Zylinderbureau u.v.m.), geprägt von natürlicher Schönheit, Schlichtheit und Eleganz und unter sorgsamer Auswahl des zu verarbeitenden Holzes.